Pyrenäenrunde i
Vorgeschichte
2020 – das Jahr, in dem plötzlich alles anders ist.
Das Jahr, in dem der Wurm steckt.
Der Wurm? Das Virus.
Nach der
Berlin Tour
, der Flucht vor dem Karneval,
hätte es nach Ostern los gehen sollen gen Germersheim.
Zusammen mit Ute. Zur SPEZI, der Spezialradmesse.
Im Anschluss wären wir nach Bad Essen gefahren. Anfang Mai waren wir dort eingeladen zu einer goldenen Hochzeit.
Von dort aus wäre es via Amsterdam nach Bochum gegangen, wo über das Himmelfahrtswochenende ein Trike Treffen hätte stattfinden sollen.
Hätte. Hat aber nicht. Statt dessen wurde eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt.
Wohin es danach hätte gehen sollen? Fragezeichen.
Etwas Größeres war beabsichtigt. So groß, dass Ute sich vorsichtshalber schon einmal ausklinkte und für September eine Reise nach Kroatien buchte.
Mit dem Flieger. Ob es auch für mich in den Balkan gegangen wäre, mit dem Rad,
oder in das Baltikum und um die Ostsee, abermals nach Island oder gen Irland oder Spanien oder sonst wohin? Offen.
Statt großer Freiheit jedoch Corona. Beschränkungen. Grenzen? Geschlossen. Letztendlich aber egal.
Ich setzte mich hin, schnappte mir den Rechner, den kleinen, ließ Formentera Erinnerungen Revue passieren,
drehte Nachmittags Runden in vertrauter Umgebung mit dem Rad. Auch nicht schlecht.
Das Ergebnis nach einigen Wochen: nach den
Island Erlebnissen
ein
zweites Buchmanuskript
in der Schublade.
Okay – im Gegensatz zum ersten fehlen noch ein paar Überarbeitungsschleifen, doch auch die Retrospektive machte Spaß. Darben, Missmut? Fehlanzeige.
Ende Mai schließlich zeichnen sich Lockerungen der Maßnahmen zur Bewältigung der Krise ab.
Ich gehe meine Ideen durch. Ostseeumrundung? Zu spät. Irland? Schwierig.
Island? Nee – Dänemark macht die Anreise kompliziert, außerdem: ein paar Tage eng zusammen gepfercht auf der Fähre?
Muss in Anbetracht der besonderen Umstände nicht sein. Die Keime sind nicht aus der Welt.
Am Ende gewinnt eine Tour durch die Pyrenäen. Der Länge nach durch die Gebirgskette.
Stand ebenfalls schon länger auf der Kandidatenliste.
Eine Route aus dem
BiRoTo-Tourenportal
schlummert in digitaler Form bereits auf der Festplatte.
Sie hat nur einen Haken. Derjenige, der sie in das Netz stellte, versah sie mit einem Zusatz.
Mountainbike Tour. Nicht mit dem Tourenrad zu befahren. Hinter den letzten Worten: drei Ausrufezeichen!
Auch in OpenStreetMap ist die Ruta Transpirenaica en BTT verzeichnet.
Häufig genug sind auch dort Abschnitte als Pfad bezeichnet, die nur mit entsprechend Holperpisten tauglichen Gefährten befahrbar seien.
Unterstreichen, was darunter zu verstehen ist, tun einige Videos im Netz.
Sie zeigen gelegentlich Radler, die ihre fahrbaren Untersätze auf der Schulter über Felsen und steil bergauf TRAGEN.
Erinnerungen an meine Tour 2015 werden wach.
Nachdem Alpen, Côte d’Azur, Camargue und weitere Kilometer entlang der französischen Mittelmeerküste hinter mir lagen stand eine Überquerung der Ausläufer an,
die die iberische Halbinsel vom restlichen Europa trennen.
Auf französischer Seite war noch alles harmlos. Es gab einen steileren Abschnitt, der Untergrund war aber befahrbar.
Spanien begrüßte mich mit Anderem. Teile der Strecke, die als europäischer Fernradwanderweg ausgeschildert waren, waren steil und unbefestigt.
Dass ich mein Rad schieben durfte? Halb so wild.
Dass ich auf zwei Schritte vorwärts jedoch einen zurück rutschte? Fand ich zu dem Zeitpunkt weniger witzig.
Ich war mit einer anderen Erwartungshaltung unterwegs.
Klar hingegen für das bevorstehende Abenteuer: das Liegerad wird Zuhause bleiben, statt dessen das Aufrecht-Trekkingrad mal wieder Kilometer machen dürfen.
Gelegentlich werde ich den Entschluss bereuen, andere Male rechne ich damit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Angefixt bin ich von dem, was mich landschaftlich erwartet.
Karte wie Bilder und Videos versprechen viel karge wie unbesiedelte Schönheit.
Gut zwei Wochen verbringe ich damit, für mich fahrbare Alternativrouten
zur tausend Kilometer langen und mit über vierzigtausend Höhenmeter behafteten Leitlinie zu finden.
Einige Kilometer entdecke ich auf einer anderen Internetseite.
Hier ist es eher der Name, der abschreckt.
Quäldich.
Ein Portal, das sich an Rennradler richtet und Tour de France Enthusiasten anspricht. Nun ja, nicht meine Welt, doch ich werde sehen.
Mag sein, dass ich gelegentlich fluche, ich starte jedoch in der Hoffnung, mit Eindrücken entschädigt zu werden.
Nicht großartig anders ergeht es mir mit den Wegen, die ich hin zum Ziel und wieder zurück aussuche.
Erneut entlang von Rhône und Mittelmeer? Nö.
So schön es dort ist und so gerne ich einmal mehr bei Beauduc in der Camargue mein Zelt aufschlagen würde, aber einige Etappen radelte ich bereits drei mal.
Zeit für etwas Neues.
Passend zu den ins Auge gefassten Bergen konstruiere ich mir einen Weg durch das Zentralmassiv.
Kostet zwar ebenfalls etliche Stunden vor dem Rechner, doch auch Aufnahmen zu Ardèche und Cevennen wecken Sehnsüchte.
Enge Schluchten, überhängende Felsen, reißende Flüsse – nicht schlecht, wenn das Wetter mit spielt.
Deutlich einfacher der Rückweg.
Eurovelo
hält möglicherweise sogar ausgezeichnete Wege entlang der Atlantikküste parat.
Dass am Ende um die sechstausend Kilometer zusammen kommen könnten? Passt.
Bin ich hoffentlich rechtzeitig zurück, bevor die dunkle Jahreszeit hereinbricht
und ich damit rechne, dass erneut das Virus sich wieder schneller verbreitet.
Reisetagebuch
Die nachfolgenden Einträge entstanden während der Reise.
Passt ein Satzende nicht zum Anfang,
hat sich ein falsches Wort eingeschlichen
oder fehlen Buchstaben, Punkte oder Kommas
oder sind diese in die falsche Reihenfolge geraten,
so mag es nach den Kilometern des Tages,
an Konzentration sowie Zeit und Muße für eine Korrekturlesung gemangelt haben und ich bitte um Nachsicht.
Wer Fehler findet, der mag sie behalten oder mir diese gerne mitteilen.
Ansonsten freue ich mich auch und gerade unterwegs über Mitleidsbekundungen, Durchhalteparolen, Tipps und Empfehlungen,
was ich mir auf keinen Fall entgehen lassen darf,
oder Anekdoten aus dem eigenen Leben, selbst wenn sie nichts mit dieser Tour zu tun haben.
Sollte während einer Tour die tägliche Berichterstattung mal auf sich warten lassen
– fehlende Kommunikationsinfrastruktur, leere Akkus oder Begegnungen mit netten Mitmenschen mögen die Ursache sein.
Nun aber: viel Spaß bei der Lektüre. Sollten beim Lesen Fragen aufkommen - fragen!
2020-07-30
31. Tag: 68 Kilometer (Gesamt: 2321); 1127 Höhenmeter; 604 - 1720 Meter Höhe
Strecke: Coll-D'Amat (09:00) – Adrall - Sort – Montardit-de-Baix (18:45)
Wetter: sonnig, 31°
Verbrachte ich die ersten Stunden der Nacht noch unruhig, so bin ich verwirrt, als ich irgendwann die Augen aufschlage und es draußen hell ist. Hat jemand das Licht eingeschaltet? Es hat. Das Natürliche. Augenblicke später meldet sich der Wecker. Halb sieben. Anstatt mir größen- und kräftemäßig überlegener Tiere waren es die kleineren, die mich zunächst nicht zur Ruhe kommen ließen. Ständig krabbelte und zwickte es auf mir herum.
Gegen acht schließlich, das Zelt ist gerade abgebaut und eingepackt, erstmals seit 16 Stunden wieder Zivilisationsgeräusche. Motorenlärm. Wenig später knirscht Kies. Ich kann es nicht fassen. Ausgerechnet an „meinem“ Schlafplatz müssen sie vorbei? Vorsichtshalber rücke ich das Rad noch ein wenig beiseite. Zwei Autos. Das erste hält. Am Steuer: eine Frau, etwa in meinem Alter, mit einer leicht aggressiven Stimme. Ob ich denn nicht wüsste, dass dies ein Privatweg sei. Meine Rechtfertigungsversuche fruchten nicht. Nur eine Nacht, bin gleich wieder weg, hinterlasse alles wie vorgefunden. Ob ich denn die Eigentümer gefragt hätte? In meinen Augen eine blöde Frage, vorsichtshalber aber antworte ich wahrheitsgemäß. Kurz darauf fährt die Frau kopfschüttelnd weiter. Mich lässt sie ebenso zurück. Ihr Verfolger nickt mir freundlich zu. Dass ich mit meinem Aufenthalt irgend jemanden gestört oder behindert haben sollte? Sicher nicht. Das auf der Terrasse wachsende Grünzeug war nicht von Menschenhand angelegt und wucherte wild. Auch sonst keinerlei Spuren, dass irgendwer sich hier in den letzten Tagen Zutritt verschafft haben sollte. Ansonsten aber klar: ich habe mich erdreistet, mich auf fremdem Eigentum breit zu machen. Es lebe Skandinaviens Jedermannsrecht. Besitz hin oder her – lagert man nicht gerade im Vorgarten eines bewohnten Hauses, ist es für eine Nacht gestattet. Oder sogar für drei? Egal. Mir ist nicht im Geringsten daran gelegen, mit meiner Übernachtung Ansprüche geltend zu machen.
Gegen neun dann die letzten drei Kilometer beziehungsweise zweihundert Höhenmeter hinauf zum Pass. Nach einer halben Stunde stehe ich oben. Nichts Spektakuläres. Ich habe die Wahl: rechts den Waldweg oder geradeaus die Schotterpiste. Erstere ist kürzer, letztere trägt in der Karte den Hinweis, dass die Oberfläche in schlechtem Zustand sei. Ich entscheide mich für den Waldweg. Nach einigen Kilometern soll er asphaltiert weiter gehen. Bis es so weit ist schiebe ich nicht unwesentliche Teilstücke. Zweimal landet das Rad auf dem Boden, beide Male passiert jedoch nichts. Das mittlerweile bekannte Problem. Zu viel loses Gestein auf für mich zu steiler Piste.
Nach neun Kilometern, mittlerweile ist eine weitere gute Stunde vergangen, lande ich auf der C14. Mit der Ruhe ist es vorbei. Durch das Tal brettert ein Wagen nach dem anderen. Fährt man die Straße weiter, gelangt man nach Andorra. Laut Beschilderung nähere ich mich der Grenze auf etwa 15 Kilometer.
Ab Adrall, einem kleinen Ort mit Bäckerei und Bar, in dem ich mich nochmals stärke, biege ich ab auf die N260. Auch wenn die Bezeichnung nach mehr klingt, der Verkehr dort ist deutlich geringer. Dafür geht es wieder aufwärts. Zwischendurch steil. Die zehn-Prozent Abschnitte kosten Kraft. Gelegentlich steige ich ab und schiebe. Die von oben brutzelnde Sonne macht die Sache nicht leichter. An zwei Brunnen, an denen ich vorbei komme, das gleiche Prozedere. Zunächst die warmen Reste der Wasserflaschen über den Kopf, anschließend frisches Kaltes, dann die Flaschen füllen für unterwegs. Wie viel ich zwischendurch trinke? Schwer zu sagen. Eine Flasche frisch Gezapftes ist geext, bevor der Verschluss zugeschraubt ist.
Gegen vier sind die elfhundert Meter Höhenunterschied, die sich natürlich ungleichmäßig verteilen, bezwungen. An sich bin ich fertig. Zwischenzeitlich funktionierte ich nur noch motorisch. Ein Kilometer strampeln, kurz durchatmen, Schluck trinken, weiter.
An einer Bar das nächste Auftanken. Zwei Dosen Cola, eine kleine Tüte Chips. Substanzielleres ist nicht zu bekommen. Für die Talfahrt jedoch unerheblich. Ich brauche nur dafür zu sorgen, dass das Rad in der Spur bleibt. An einer richtigen Tankstelle nochmal ein weiterer Zwischenstopp. Ich erstehe eine Flasche Brennspiritus, eine weitere Dose Cola und sorge dafür, dass die Felgen sich wieder abkühlen können. Siebenhundert Meter Höhenunterschied abwärts auf zwanzig Kilometer lassen mich fürchten, dass mir die Reifen platzen könnten. Wegen Überhitzung.
In Sort schließlich ein weiterer Verpflegungsstopp an einem Supermarkt, dann weitere vier Kilometer, einfach und eben an einem Fluss entlang, und es ist geschafft. Ich erreiche einen Campingplatz. An sich mindestens eine knappe Stunde zu spät. Glücklicherweise aber ist er mit zehn Euro vergleichsweise preiswert und gibt mir die Gelegenheit, im Pool ein wenig zu entspannen. Das Abendessen anschließend: ungewohnt reichlich. Dem Supermarkt in Sort sei dank. Neben dem Fertignudelgericht kommen ein Salat auf die Speisekarte sowie eine Tüte Gummibärchen zum Nachtisch. Ich hoffe es hilft, am nächsten Morgen weitere Höhenmeter zu überstehen.
Ausrüstung
Rad + Zubehör
- Koga Worldtraveller 29 bereift mit Schwalbe Marathon Plus
- 1 Packtasche Ortlieb Rack Pack (31l)
- 1 Paar Packtaschen Ortlieb Back Roller (2 x 20l)
- 1 Paar Packtaschen Ortlieb Front Roller (2 x 12,5l)
- 1 Lenkertasche Ortlieb Ultimate 4 (6l)
- 1 Ladegerät Busch & Müller E-WERK
- 1 Stahlseil Abus Cobra zur Sicherung des Rades per Rahmenschloss
- 1 Kabelschloss Abus Globetrotter 202/90 zur Sicherung des Gepäcks
- 1 Spanngurt a 1.5 m
- Werkzeug, Flickzeug und Ersatzteile (u.a. Schläuche, Speichen, Bremsbeläge, Kettenschlösser, Kettenöl, kleine Doppelhub Luftpumpe)
Camping
- Zelt Hilleberg Soulo + Footprint + 5 Sandzeltanker
- Isomatte Therm-a-Rest ProLite Plus large sowie Reparaturflicken
- Kunstfaserschlafsack Mountain Hardwear Lamina Z Flame
- Helinox Klappstuhl
- Microfaser Handtuch sowie Waschlappen
- Faltschüssel, Wassersack + Duschvorsatz (Ortlieb)
- Waschsack (Outdoor "Waschmaschine" - Scrubba)
- Sturmkocher-Set mit Spirituskocher (Trangia)
- Brennspiritus, Streichhölzer, Feuerstein/-stahl
- Campingbesteck (Messer, Gabel, Löffel)
- Trinkbecher mit Faltgriff
- Spüli, Geschirrtuch
Bekleidung
- Kappe
- T-Shirts
- Pulli
- Slips
- Hosen
- Socken
- Trekkingschuh/Wanderstiefel
- Crocs-Sandalen
- Badehose
- Weste (Windbreaker)
- Multifunktionstuch (Buff)
- Regenbekleidung (Jacke, Hose)
- Fahrradhelm
Technik
- 1 Netbook Asus Vivobook E200H
- 1 GPS Gerät Garmin etrex (Vista HCx) mit Kartenmaterial OpenFietsMap (s.u.)
- 1 Kamera Panasonic Lumix TZ91
- 1 Smartphone (Samsung; Galaxy S3 mini) mit AldiTalk Prepaid Karte
- 1 Powerbank 20000 mAh + Ladegerät (Anker)
- 1 Solarpanel (Anker)
- 1 USB-Akku-Ladegerät für 2 x AA/AAA (Ansmann Lithium2)
- 1 Stirnleuchte
- Ersatzakkus für Navi & Taschenlampen
Sonstiges
- Kulturbeutel mit Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo, Rasierapparat/Haarschneidemaschine
- Sonnenbrille, Lesebrille (man ist ja nicht mehr so ganz jung)
- Klappschaufel, Toilettenpapier
- Wäscheleine (Sea to summit)
- 1 Rolle (5m) Duck Tape, handvoll Kabelbinder
Links
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so bin ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.
Die Reihenfolge der Einträge stellt keine Wertung dar, sondern entspricht im Wesentlichen der, in der ich die Seiten kennen gelernt habe.
zur Reise
Software
- Openstreetmap - freie Weltkarte
- OpenFietsMap - aus Openstreetmap generierte routingfähige Fahrradkarten (Schwerpunkt: Europa)
- GPS Babel - freie Software zur Konvertierung zwischen verschiedenen Datenformaten (u.a. kml/gdb)
- Google Maps - kostenlos nutzbare Straßenkarte
- Google Earth - weltweite geografische Informationen, auch kostenlos