auf den Spuren von Ute & Dirk Prüter

der Lahntal Radwanderweg

… in Bildern

Obernautalsperre
Bild 1/22

… in Worten

Ostern 2013 – wie bereits im Jahr zuvor wollen wir die Feiertage nutzen, eine Tour mit dem Rad zu unternehmen. Entgegen der Mosel entscheiden wir uns diesmal für die Lahn. Verschiedenen Quellen entnehme ich, dass der Weg den Fluss entlang sich über 250 Kilometer erstreckt; eine Strecke, die an 4 Tagen auch ohne Training zu bewältigen sein sollte. Was die Route betrifft, so findet sich im Internet eine geeignete Ausarbeitung, die lediglich hinsichtlich der Übernachtungsmöglichkeiten zu überarbeiten ist. Von meinem Vater mit Karten- und Informationsmaterial für entsprechende Flusswanderungen ausgestattet suche ich Campingplätze am Wegesrand, doch das Wetter und die fehlende Bereitschaft, auch bei Minusgraden zu zelten, machen zu Utes Zufriedenheit einen Strich durch die Rechnung. Als wir wenige Tage vor der Abfahrt von der potentiellen Schwiegermutter einer unserer Söhne einen "Bett und Bike" Katalog erhalten, wird kurzerhand die Planung über den Haufen geschmissen. Irgendwo in dem Wälzer gibt es einen Hinweis auf eine Internetseite, die nach entsprechender Auswahl Hotels und Pensionen entlang der Route auflistet.
Weitere Abweichungen von meinen ursprünglichen Vorstellungen hält die Bahn für uns parat. Waren wir im Vorjahr, als wir uns für ein verlängertes Wochenende den Ruhrtalradweg vorgenommen hatten, mit dem Regionalexpress und Tickets des örtlichen Verkehrsverbandes bis 10 Kilometer vor Siegen gelangt, so hatte man in der Zwischenzeit anscheinend den Fahrplan geändert; an dem vor 11 Monaten noch angesteuerten Bahnhof sollte der Zug nicht mehr halten. Ähnliches gilt für die Rückfahrt; war ich davon ausgegangen, dass wir mit Fahrkarten der Kölner Verkehrsbetriebe von Neuwied aus die Heimreise antreten, so zeigt das Internet, dass die Strecke zumindest zum gewünschten Zeitpunkt nicht befahren wird. Zwischen Neuwied und Bad Honnef verkehrt ein Schienenersatzverkehr, für den die in Köln erhältlichen Tickets nicht zu gelten scheinen. Entsprechend suche ich Alternativen bei der Bahn und werde fündig. Mit dem Regionalexpress Gründonnerstag von der heimischen S-Bahn Station aus nach Siegen, und am Ostermontag von Koblenz aus zurück nach Köln. Was ich im Netz nicht entdecke ist die Möglichkeit, Fahrkarten für die Mitnahme der Räder zu erstehen. Aufgrund einer zu langen Schlange am Schalter am Bahnhof am Wochenende zuvor besuche ich ein paar Tage später das Reisebüro im Ort. Das Vorhaben ist schnell erklärt, was sich jedoch aufwendiger gestaltet ist die Buchung mit unseren unterschiedlichen Bahncards. Nach einer Viertelstunde ist die Dame auf der anderen Seite des Schreibtisches erlöst und ich verlasse den Laden mit nicht weniger als 8 Tickets, 4 Aufklebern für die Räder, 2 Fahrplänen sowie der Rechnung in den Händen.
Eine weitere unangenehme Überraschung erlebe ich, als ich vor der Fahrt zu meiner Lederhose greife. Hatte ich sie 2 Wochen zuvor erst flicken lassen, schimmert nun auf der anderen Seite im Schritt ein Loch durch das Material. Schweren Herzens lege ich die Knickerbocker wieder beiseite und begnüge mich mit einer Goretex Variante. Mehr Glück habe ich mit der Wahl meines Schuhzeugs. Unentschlossen überlege ich, was angebrachter sein könnte – Halbschuh oder Wanderschuh, der bis über den Knöchel reicht. Im Gegensatz zu Ute, sie zieht ein paar Sportschuhe an, entscheide ich mich für die klobigeren Treter und werde nur wenige Stunden später feststellen, die bessere Alternative getroffen zu haben.
Was das Gepäck anbelangt, so kommen wir mit jeweils 2 Packtaschen aus, die zudem nur locker gefüllt sind; Anziehsachen für Abends, Schlafanzug, Kulturbeutel, Regenbekleidung sowie ein wenig Kleinkram wie Socken und Unterwäsche; alles weitere verteilt sich auf den Körper: Handschuhe, Mütze und gemäß Zwiebelprinzip ein paar Schichten Oberbekleidung.

Bei bedecktem Himmel und einstelligen Temperaturen im unteren Bereich starten wir gegen 14:30 Uhr. Die Bahn ist pünktlich, wir sind die einzigen Radler, und so nimmt eine für uns unproblematische Fahrt seinen Lauf. Lediglich für einen mitreisenden älteren Herren wird es unangenehm. Amüsierten wir uns über die rot über der Tür leuchtende „WC defekt“ Anzeige, so reagiert der Mann ein wenig ungehalten, als er erfolglos an der Tür rüttelt und Ute ihn auf die Ursache hinweist. „Dann piss ich halt in den Flur“, ereifert sich der Geplagte, und lässt uns wissen, dass er auch bereits beim Militär vom fahrenden LKW aus gepinkelt habe. So genau wollten wir es zwar nicht wissen, doch glücklicherweise bleiben wir von einer Entleerung der Blase in unserer Gegenwart verschont und erreichen nach knapp anderthalb Stunden Fahrtzeit unser erstes Reiseziel.
Das Wetter in Siegen scheint sich an die Vorhersage zu halten. War tags zuvor für den Nachmittag noch leichter Schneeregen angekündigt, so versprach die jüngste Prognose nur noch einen stark bedeckten Himmel. Nahezu ebenso grau gestaltet sich die Fahrt aus der Stadt heraus. Zunächst um den Bahnhof herum, anschließend über eine Brücke über die Bahngleise verläuft die Strecke weiter entlang der Sieg unter einer Schnellstraße, bevor wir umgeben von Kleinindustrie über mäßig befahrene Straßen Siegen hinter uns lassen.
Kurz vor Netphen wird die Strecke attraktiver und grüner, dafür folgt jedoch kurze Zeit später der erste Anstieg, der Ute vom Sattel zwingt. Einige hundert Meter weiter haben wir die Obernau Talsperre vor uns, an deren Hängen wir größere weiße Flecken entdecken. Nach kurzer Verschnaufpause setzen wir die Fahrt fort. In unmittelbarer Nähe zum Wasser geht es munter rauf und runter weiter, bevor am Ende der Talsperre der Weg in nur noch einer Richtung weiter verläuft. Aufwärts, was bereits im Zuge der Vorbereitung zu erkennen war. Was hingegen nicht Zuhause am Rechner ersichtlich war ist die Tatsache, dass der Weg schneebedeckt ist. Hätte man sich natürlich denken können, dass ab einer gewissen Höhe bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt Schnee und Eis sich halten würden, doch soweit hatten wir nicht gedacht. Während Ute sich mit ihren Sportschuhen den Hügel hinauf kämpft, habe ich es mit meinen Wanderschuhen leichter. Besserer Halt, weniger Schnee, der sich in die Socken drückt und eine griffigere Sohle lassen mich zügiger vorankommen.
Auf den dreieinhalb Kilometern begegnen wir außer zwei Joggern, die uns entgegen kommen und uns in Anbetracht der Räder für leicht verrückt erklären, keiner Menschenseele. Mit hereinbrechender Dämmerung malt Ute sich bereits aus, wie wir unentdeckt im Wald erfrieren, als nach einer Stunde Waldweg die nächste Straße und somit das Ende der Schieberei zu erahnen ist. Der Hinweis, dass ich für den Notfall eine Aludecke im Gepäck habe, ist für sie weniger hilfreich als meine Unterstützung, ihr Rad die letzten Meter zu schieben, nachdem sie mit ihren glatten Sohlen nicht mehr vorankommt. Kurz vor Erreichen der Straße scheuchen wir noch ein paar Rehe auf, die in weiten Sprüngen vor uns Reißaus nehmen.
Auf dem Asphalt dann geht es unbeschwerter weiter. Zwar schieben wir auch auf den verbleibenden 8 Kilometern die Drahtesel noch weitere Hügel hinauf, doch sind die Anstiege überschaubarer und der Untergrund fester. Was aufgrund der zunehmenden Dunkelheit auf der Strecke bleibt, sind Päuschen an den Quellen von Eder, Sieg und Ilm. Statt dessen sehen wir zu, dass wir unsere erste Unterkunft an der Lahnquelle erreichen.
Um 19:20 Uhr ist es geschafft. Einigermaßen entkräftet sind wir froh, ein Zimmer und nach dem Gang unter die Dusche noch eine warme Mahlzeit zu bekommen. Bei Wildgoulasch, Spätzle, Schweinefilets und Salat verdrängen wir die Vorstellung, wie es uns ergangen wäre, wenn wir mit der Radelei bereits 10 Kilometer vor Siegen begonnen hätten, wo uns die knapp 30 Kilometer bereits dreieinhalb Stunden aufgehalten haben.
Die Nacht im Forsthaus Lahnquelle verbringen wir einigermaßen geruhsam. Während weder Autos noch andere Gäste stören, ist es lediglich Utes Husten sowie ein Ziehen in den Oberschenkeln, auf das wir hätten verzichten können.

Am nächste Morgen, es ist Karfreitag, begrüßt uns ein Wolken verhangener Himmel; es sieht nach Schnee aus. Doch zunächst genießen wir das Frühstücksbuffet. Außer uns sitzt nur noch ein Pärchen aus Berlin am Tisch und lässt es sich in Ruhe schmecken. Wir quatschen ein wenig, dann trennen sich unsere Wege. Während es uns Richtung Marburg treibt, bleiben die beiden in der Gegend – Besuche bei der Verwandtschaft.
Um kurz vor 10:30 Uhr stehen wir wieder vor unseren Vehikeln. Von der Quelle der Lahn sehen wir nicht mehr als von der der Sieg und den anderen Flüsschen, an denen wir am Vortag vorbei geradelt sind. Unter einem Haufen Schnee, so erfahren wir von unserer Wirtin, liegt ein Teich, dem die Lahn entspringt.
Ebenso bleibt uns eine rasante Talfahrt verwehrt, die uns entlang des Wasserlaufes in tiefere Regionen führen sollte. Wie bereits bis auf 600 Meter herauf, so ist auch der Waldweg herunter Schnee und Eis bedeckt, was zur Folge hat, dass die Räder so herunter gelangen, wie sie hoch gekommen sind – schiebend, doch für uns weniger anstrengend.
Ab 400 Meter Höhe wird der Schnee weniger und wir erreichen eine für uns befahrbare Straße. Sie verbindet einige kleinere Dörfer und Gehöfte, und wir haben die Piste so gut wie für uns allein. Ein wenig später lassen wir den ausgeschilderten Radweg, der sich erneut einen Schnee bedeckten Hügel entlang schlängelt, rechts von uns und ziehen eine Landstraße vor. Es sind nicht viele Autos unterwegs, doch im nächsten Dorf bestehe ich darauf, den Hinweisschildern für Radler zu folgen. Aus dem Dorf heraus ist auch noch alles unkritisch, doch wenig später haben wir schon wieder die Lenker vor der Brust und die Schuhe auf eisigem Untergrund. Die Lahn verläuft einige Meter unter uns, während es für uns einen Hügel hinauf geht. Begleitet von Utes Flüchen überstehen wir auch diese Passage schadlos. Im Gegenzug gebe ich bei nächster Gelegenheit nach, mit dem Erfolg, dass wir anstatt auf einem Waldweg auf einer Schnellstraße landen und die Hupe erregter Automobilisten zu hören bekommen. Doch auch das Ende dieser Etappe erreichen wir unversehrt, sind uns jedoch einig, dass das Schieben über Schnee die ungefährlichere Alternative sei.
Zum Glück bleiben wir von derartigen Entscheidungen im weiteren Verlauf aber verschont. Das Tal wird breiter, die Hügel verlieren an Höhe, und die weißen Flecken in der Landschaft immer weniger. Bei gemächlichem Tempo kommen wir überwiegend entlang der Lahn, die stellenweise bereits gut 15 Meter breit ist, gut voran. Lediglich als uns gegen 14:00 Uhr nach einer kleinen Mittagspause zumute ist, werden wir enttäuscht. Für eine Rast am Wegesrand ist es uns zu frisch, auch wenn sich gelegentlich durch die Wolken hindurch erahnen lässt, wo sich die Sonne befinden könnte. Als wir um 14:30 Uhr vor einem Restaurant stehen, vor dem einige Leute plaudern, erfahren wir, dass man gerade schließe. Erst eine Stunde finden wir in einem der nächsten Orte eine Möglichkeit zur Einkehr. Ein Eiscafe hat geöffnet. Bei 5 Grad ist uns zwar nicht nach dem zumute, was zur Namensgebung des Lokals beigetragen hat, doch die Speisekarte hält mit Waffeln und heißen Kirschen eine Alternative bereit, die uns entgegen kommt. Eine Stunde lang genießen wir die wohligeren Temperaturen, die Leckereien sowie eine Tasse Latte Machiato, bevor es um 16:00 Uhr aufgeht zum Endspurt für den Tag.
Eine weitere Stunde später stehen wir vor dem „Marburger Hof“. Das Stadthotel wartet mit günstigeren Konditionen auf als die Herberge am Vortag, ist allerdings bei weitem nicht so ruhig gelegen, wie wir Nachts bei anfänglich auf Kippe gestelltem Fenster erfahren sollen. Anstatt des Radler Arrangements für 130 Euro, welches ein 3 Gang Menü sowie ein Lunchpaket für den nächsten Morgen beinhaltet, wähle ich Übernachtung/Frühstück für gut die Hälfte und investiere den gleichen Preis für ein Abendessen a-la-Carte im spanischen Restaurant unter dem gleichen Dach und mutmaßlich italienischem Einfluss; die Tapas, die wir als Vorspeise zu Brot und Allioli wählen, sind zwar ebenso wie der Fischteller nicht schlecht, überzeugen uns aber nicht restlos.
Das Buffet am nächsten Morgen lässt kaum Wünsche offen. Bei einer großen Auswahl an Süßen und Herzhaften verdrücken wir jeder 2 Brötchen und werden Zeugen von Geburtstagsfeierlichkeiten am Nachbartisch. Wie bereits tags zuvor verlassen wir das Hotel gegen 10:30 Uhr, doch ein Gang zum Metzger und in die Apotheke sorgen dafür, dass wir erst eine halbe Stunde später in die Pedalen treten.
Mit dem Wind im Rücken heißt unser erstes Ziel Gießen. Wir erreichen die Stadt 3 Stunden später und irren zunächst ein wenig umher, da das Navi seine Probleme mit der von mir geplanten Stadtrundfahrt hat. Da wir den Zielpunkt vor der Einfahrt in die Stadt überfahren, will uns das Gerät immer wieder dorthin zurück lotsen, anstatt uns den Weg durch die Fußgängerzonen voller Menschen zu weisen. Darüber hinaus haben wir den Eindruck, dass wir nicht viel verpasst hätten, wenn wir uns die Fahrt durch die Stadt erspart hätten. Geschäfte wie in anderen größeren Städten auch, mit wenig eigenem Flair.
Unser nächstes Zwischenziel ist Wetzlar. Als wir gegen 16:00 Uhr dort ankommen, wärmen wir uns wie bereits am Vortag in einem Cafe auf. Im Anschluss daran folgt eine weitere Tour durch eine Stadt. Anders als in Gießen sehen wir in Wetzlar jede Menge Fachwerk, enge Gassen, liebevoll dekorierte Schaufenster und eine Vielzahl einladender Restaurants, die wir unbesucht lassen. Statt dessen geht es wieder aus der Stadt heraus und anderthalb Stunden mehr oder weniger weiter den Fluss entlang, den wir in dessen Verlauf noch zwei mal überqueren.
Gegen 18:45 Uhr sind auch die letzten der gut 80 Kilometer für den Tag zurück gelegt. Das Landhotel Adler, welches wir uns für die Übernachtung ausgesucht haben, ist an einem Hang gelegen, der Ute ein weiteres Mal absteigen lässt. Wir erhalten ein Zimmer direkt gegenüber der Rezeption, doch Utes Befürchtung, dass es dadurch laut werden könne, erweist sich als unbegründet. Im Haus befinden sich kaum Gäste, und als wir um 20:00 Uhr am Tisch sitzen, um unser Abendessen zu bestellen, genießen wir die ungeteilte Aufmerksamkeit der Bedienung, die uns bereits im Haus willkommen hieß und mit dem Zimmer versorgte. Auch wenn wir uns mit einfachen Gerichten zufrieden geben, wir werden nicht enttäuscht und von dem Kellner gut unterhalten, der uns wissen lässt, dass wir für dieses Jahr die ersten Gäste mit dem Rad sind; dazu erhalten wir einen Lahntalradweg Radwanderführer als Gute-Nacht-Lektüre mit auf den Weg in die Federn.

Als Ostersonntag nach umgestellter Uhr uns der Wecker nach ruhiger Nacht um 8 Uhr aus den Träumen reist, sieht es draußen recht vielversprechend aus. Die Sonne kommt durch und lässt Hoffnungen auf knapp 2-stellige Temperaturen aufkommen. Bis wir uns allerdings durch das Frühstücksbuffet gekämpft haben und ich mit gepackten Taschen vor den Rädern stehe, hat sich das Bild gewandelt. Ein Schneeschauer, der noch die nächste Stunde anhält, sorgt für weiße Ostern. Es bleibt zwar nichts liegen, allerdings sorgt der Niederschlag auch nicht dafür, dass das Thermometer auf höhere Werte steigt.
Entsprechend den Witterungsverhältnissen haben wir den Radweg ziemlich allein für uns, allerdings sorgen eben diese Umstände auch dafür, dass wir kaum länger irgendwo verweilen als die Zeit, die zur Betätigung des Auslösers an der Kamera erforderlich ist. So lassen wir Weilburg zügig hinter uns, stoßen bei Runkel auf einen einsamen Kanuten auf dem Wasser und erreichen nach 50 Kilometern Limburg gegen 15:15 Uhr. Zu unserer Überraschung macht die Altstadt wie bereits die von Wetzlar einen einladenden Eindruck, wenngleich es gut rauf und runter geht und nichts für Leute ist, die schlecht auf den Beinen sind.
Vorbei an Diez führt unser Weg wenig später nach Balduinstein, wo wir eine kleine Pause einlegen. Nach einem Gang zur Toilette setzen wir uns in einen Kiosk, der für dieses Jahr gerade seine Eröffnung hinter sich hat. Um drei Tische verteilt sitzen auf Gartenstühlen ein paar Einheimische und verwandeln den ringsum mit Fenstern versehenen Raum in eine Räucherhöhle. Es wird gequarzt, was das Zeug hält, und vor einem Heizlüfter sitzend bewältigt man Probleme der Vergangenheit und der Gegenwart. Schweigend schlürft Ute ihren Tee und ich mein Radler, bis wir von den Anwesenden gefragt werden, was uns denn in die Gegend führe. Die Kommentare, die wir auf unsere Antwort erhalten, sind genau die die Ute helfen, weiche Knie vor den bevorstehenden Kilometern im voraus zu bekommen. Da hätten wir ja etwas vor uns. Wir sollten uns überlegen, den weniger steilen aber dafür etwas längeren Anstieg nach Langenscheid zu nehmen. Die von mir gefundene Route orientiert sich hingegen an dem ausgeschilderten Radweg, der über Holzappel führt. Den Bekundungen der Ortsansässigen nach sei dies aber die beschwerlichere Strecke. Außerdem sei auf dem Weg im Moment eine Baustelle, von der man nicht wisse, ob sie für Radfahrer passierbar wäre; ein Straßenschild vor der Tür weist zumindest darauf hin, dass die Strecke für den Verkehr gesperrt ist.
Als wir die Lahn Minuten später wieder überqueren, entscheiden wir uns für die, wie man uns wissen ließ, leichtere und unverfänglichere Variante, wobei uns die Einschätzung nach wenigen Metern fragwürdig erscheint. Schiebend und keuchend kommen in Ute dabei Zweifel auf, ob wir uns das wirklich antun wollen, 4 Wochen später mit dem Rad Richtung Nordkap zu starten. Neben möglicherweise ärgeren Steigungen dann noch gegen Sturmböen anzugehen, wo wir hier schon nur schleppend voran kommen. Da sie ihre Bedenken noch hervorbringen kann, denke ich mir meinen Teil und steige nach der nächsten Kurve wieder auf das Rad, um in kleinem Gang die nächsten Meter zu bewältigen, und kurze Zeit später entdecke ich auch meine Gattin hinter mir, wie sie den Hügel empor kurbelt.
Die Strecke zieht sich noch ein wenig, die Straße knickt ab auf eine größere Landstraße, und nach weiteren Anstiegen gelangen wir zurück auf den Radweg, der nun mit starkem Gefälle talwärts führt. In engen Serpentinen und Haarnadelkurven geht es die 250 Meter wieder hinunter, die wir uns so mühsam bergauf erarbeitet haben. Mühelos erreichen wir 40 km/h und müssen eher aufpassen, in den Kehren nicht die Bodenhaftung zu verlieren, doch nach 5 Minuten ist der Spaß vorbei und wir stehen vor der letzten Herberge unseres Ausflugs.
Der Gasthof „Zum Lahntal“ liegt direkt am Fluss, verfügt über eine kleine Zeltwiese sowie einige Stege, an denen auch Wassersportler Zugang erhalten. Wir parken die Räder vor den Garagen und ich begebe mich die Treppe hinauf ins Restaurant, wo der Inhaber gerade damit beschäftigt ist, von einer größeren Gesellschaft die Bestellung aufzunehmen. Nachdem die Wünsche der Beteiligten notiert sind erfahre ich, dass man zwar nicht mehr mit Übernachtungsgästen gerechnet hätte, aber wenn wir uns eine halbe Stunde gedulden würden, mache man ein Zimmer zurecht und wir könnten gerne bleiben. Ich willige ein und kehre zurück zu Ute, die mittlerweile im Gespräch mit Paddlern vertieft ist. Eine Gruppe von 8 Kanuten hat seine Tagestour enden lassen und fachsimpelt über vergangene Ausflüge. Letztes Wochenende sei man auf der Aller gewesen, lässt man mich wissen, und ich blicke auf das Display einer Digitalkamera, auf der ein Kajak auf dem Wasser zu sehen ist. Zwischendurch eilt der Wirt herbei und öffnet uns eine Garage, in die wir unsere Räder unterstellen können. Wir trennen uns von den Paddlern mit einem „bis gleich“, kümmern uns um unsere Drahtesel und das Gepäck, doch als wir den Gastraum betreten, sind die Wassersportler unter sich und wir fragen den Mann am Nachbartisch, der vor seinem Glas Äppelwoi sitzt, ob wir uns zu ihm gesellen dürfen. Er hat nichts dagegen, und bevor wir unsere Gläser geleert haben erfahren wir, dass unser Zimmer gemacht ist. Als wir in geduscht und in „Abendgarderobe“ zurück kehren, sitzt ein weiteres Pärchen an dem Tisch, auf dem auch unsere Gläser noch stehen. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass die beiden in unserem Alter sind, in Hamburg leben und mit einem Ruderboot angekommen sind. Karfreitag sei man in Wetzlar gestartet, habe zwischenzeitlich in Weilburg und Limburg Halt gemacht und wolle am nächsten Morgen den Wagen samt Anhänger am Startort abholen, um anschließend das Boot einzusammeln und die Rückfahrt nach Hause anzutreten. Während die beiden ihre Teller leeren und wir unsere Bestellung aufgeben, quatschen wir über unsere jeweils zurück gelegten Kilometer und kommen von einem Thema auf das andere. Uwe, der Herr mit dem Äppelwoi, beteiligt sich ebenfalls an unserem Palaver, spendiert einen Pflaumenschnaps und versorgt uns mit seinem Wissen als Ortsansässiger über alles, was es über die Lahn und den Radweg in dieser Ecke zu sagen gibt. Zwar klinkt sich die Ruderin nach dem Essen mit Magenbeschwerden aus der Runde aus, doch mit Paul, ihrem Begleiter, und Uwe, dem Platzhirsch, verbringen wir noch eine Weile gemeinsam den Abend, ohne dass es langweilig wird. Als der Wirt sich danach erkundigt, wann wir am nächsten Morgen zu frühstücken gedenken, verabreden wir uns für 09:00 Uhr und kehren auf unsere Zimmer zurück.
Das Haus ist zwar einfacher eingerichtet als die Hotels, in denen wir zuvor übernachtet hatten, doch der Betreiber, ein Armenier, wie wir beim Frühstück erfahren, ist äußerst zuvorkommend und unterhält uns noch eine Weile, als sich das Pärchen aus Hamburg in Richtung Zug nach Wetzlar verabschiedet.
Um 10:30 Uhr brechen auch wir auf. Der Himmel bleibt an diesem Ostermontag über den Tag hinweg blau, doch es ist frisch. Die Windschutzscheibe eines Autos ist noch zugefroren, aber entgegen der Aussage des am Abend zuvor kennen gelernten Uwe, dass der Weg von hier an eben verläuft, wird uns schnell entlang der Hügel bis Nassau warm. Zunächst sind es gut 50 Meter hinauf zu einem Kloster, die uns helfen, auf Betriebstemperatur zu gelangen, anschließend ein paar steilere Anstiege entlang der Lahn, die diese in ein Tal betten.
Ab Nassau verläuft der Weg dann tatsächlich flach in unmittelbarer Nähe zum Fluss und es ist lediglich ein leichter Gegenwind, der uns bis Bad Ems beziehungsweise weiter bis Lahnstein entgegen weht, wo wir kurz vor der Mündung in den Rhein am Fuße der Burg Lahneck auf einer Bank eine letzte Rast einlegen und die restlichen Brötchen des Frühstückkorbs vertilgen. Anschließend folgen wir dem Radweg bis Koblenz. Ein wenig am Rhein entlang, ein wenig durch die Straßen und schließlich über die Pfaffendorfer Brücker erreichen wir den Bahnhof der Stadt an der Moselmündung gegen 14:45 Uhr. Mit der Hilfe von Mitreisenden bewältigt auch Ute mit dem Rad die Rolltreppe, die zu dem Gleis führt, auf dem unserer Zug bereits wartet. Im Fahrradabteil haben sich bereits 4 Radler breit gemacht, doch finden auch wir noch Platz für unsere Vehikel, bevor weitere Pedalritter eintreffen und es langsam eng wird. Letztendlich muss aber niemand zurück bleiben und wir machen auf der Rückfahrt Bekanntschaft mit einem Pärchen aus Australien, das über die Feiertage ein wenig den Rhein entlang geradelt ist. Wir erfahren, dass Er einen Job für ein Jahr an der Uni in Duisburg angenommen hat, und Sie 10 Jahre zuvor in Tschechien bereits Erfahrungen in Europa sammeln konnte, was die beiden aber nicht vor Komplikationen mit der Deutschen Bahn bewahrt. Nicht nur die beiden Zugbegleiter haben ihre Schwierigkeiten mit der englischen Sprache, auch der Bedienstete hinter dem Schalter, der den beiden Australiern die Tickets verkaufte, schien die beiden nicht so recht verstanden zu haben. So verfügten sie über eine Fahrkarte, mit der sie auch einen ICE hätten benutzen können, doch fehlte der Fahrausweis für die Räder. Letztendlich lassen sich die Kontrolleure in der Bahn dazu durchringen, das Pärchen bis Bonn mitreisen zu lassen, bestehen jedoch darauf, dass die beiden sich dort mit den fehlenden Fahrausweisen einzudecken hätten. Ich helfe ein wenig bei der Verständigung und wir plaudern anschließend noch etwas über das Reisen mit der Bahn, das Radeln und bisherige Erlebnisse, bevor die beiden am ehemaligen Regierungssitz des Landes den Zug verlassen.
Unsere Bahnfahrt endet eine halbe Stunde später am Kölner Hauptbahnhof, wo wir unsere Probleme haben, uns einen Platz im Fahrstuhl zu sichern. Zunächst reihen wir uns brav in die Reihe der Wartenden, dann drängelt sich jemand mit schwerem Gepäck vor, bis auch wir es schließlich schaffen, mit unseren Rädern die Kabine Richtung abwärts zu füllen. Da es uns zu kompliziert erscheint, das gleiche Spiel an einem anderen Gleis in umgekehrter Richtung zu wiederholen und es in unserer Heimatstadt gefühlte 5 Grad wärmer ist als an der Lahn, entschließen wir uns dazu, die verbleibenden 12 Kilometer aus eigener Kraft zurück zu legen.
So schaffen wir es, uns unseren Weg durch die Menschenmassen auf der Domplatte und der Hohenzollernbrücke zu bahnen, ohne jemandem die Hacken abzufahren oder selbst umgerempelt zu werden, flüchten entlang der Osterkirmes am Deutzer Rheinufer vom Radweg auf die Straße und gelangen unbeschadet zwischen den Spaziergängern über den Leinpfad zurück nach Hause, in dem Gefühl, mehr Menschen um uns herum gehabt zu haben als an den knapp 4 Tagen entlang der Lahn.
Noch zwei Tage lang spüren wir die Muskelpartien, die wir zur Fortbewegung beanspruchten sowie das Sitzfleisch aufgrund der 310 Kilometer, die wir auf dem Sattel verbrachten, doch zeigte die Tour ebenso, dass es möglich ist, 70 bis 80 Kilometer pro Tag ohne vorheriges Training zurück zu legen und wie es ist, bei lausigen Temperaturen durch die Lande zu radeln.