100 Schlösser Südkurs
… auf der Karte
… in Bildern
… in Worten
Ostern – wie auch die letzten beiden Jahre zuvor nutzen wir das um die Feiertage verlängerte Wochenende zu einer Radtour, anstatt Zuhause die Beine hoch zu legen oder auf Formentera Sand zwischen den Zehen rinnen zu lassen. Eine Premiere hingegen ist, dass Ute und ich nicht alleine aufbrechen, sondern uns quasi in 5 Freunde Manier auf den Weg machen. Anstatt Georg, Julius, Dick und Anne, wie in Enid Blytons Kriminalgeschichten, heißen die Protagonisten jedoch Rüdiger, Birgit, und, welch Überraschung, Ute und Dirk.Fehlt noch einer, damit es fünf sind?
Stimmt, der vierbeinige Begleiter!
Doch auch bei dem handelt es sich nicht um den struppigen Terrier Tim, sondern um das italienische Windspiel Sarah. Und die ist, wie der Name vermuten lässt, kein Rüde, sondern weiblichen Geschlechts und entsprechend ihrer Rasse mit eher glattem Haar versehen, doch wen sollte das noch stören?
Eigentlich hätte es eine Tour durch das Paderborner Land werden sollen. 300 Kilometer, laut Höhenprofil ohne nennenswerte Steigungen, von ein paar Ausläufern des Sauerlandes um Bad Wünnenberg herum im Süden mal abgesehen. Doch eine Proberunde ein Wochenende zuvor durch Königsforst und Wahner Heide offenbarte neben der Suche nach Geocaches etwas, wonach wir keine Ausschau hielten: konditionelle Schwierigkeiten. Und das nach fünfzig Kilometern!
Um keine voreiligen und nicht haltbaren Schlüsse aufkommen zu lassen: weder die Hündin noch die Gattin des Autors dieser Zeilen müssen sich etwas nachsagen lassen, selbst der angetraute Ehemann der zuvor erwähnten Dame hätte weiter radeln können, aber es sollte ja zu fünft los gehen, Ostern, 2014.
Für den ins Auge gefassten Ausflug über die Feiertage keine optimalen Voraussetzungen. Entsprechend wird kurzerhand umdisponiert, eine neue Route auserkoren. Ein ADFC Prospekt liefert ein paar Seiten vor dem daraus ausgewählten Parcours rund um Paderborn die passende Alternative: die 100 Schlösser Tour. Durch das Münsterland. Vier Routen, die wie Kleeblätter aneinander angrenzen, bilden das Angebotsquartett. Uns erscheint die Südroute am geeignetsten. Weniger Kilometer, mehr flach. Die 210 Kilometer sollten in vier Tagen ebenso zu meistern sein wie die eher mäßigen Anstiege, ohne irgend jemanden zu überfordern. Als Start- und Zielpunkt wählen wir Ascheberg. Der Ort ist von Unna aus, wo Rüdiger und Birgit wohnen, einfach und unkompliziert mit dem Auto zu erreichen; los gehen soll es Karfreitag, am besten noch vor Mittag.
Gründonnerstag, nach dem Feierabend- beziehungsweise Ausflugsverkehr machen Ute und ich uns auf den Weg zu unseren Freunden, mit den Rädern und dem Gepäck hinter uns im Kofferraum, der um die Fläche der umgeklappten Rücksitzbank vergrößert ist. Die ersten Kilometer verlaufen noch mehr als zähflüssig. Auch wenn die Hauptverkehrswelle abgeebbt zu sein scheint, es sind noch genug Leute wie wir in ihren fahrenden Blechkisten unterwegs. Nachdem die Hälfte der Strecke in einer Zeit zurück gelegt ist, die wir normalerweise für die volle Distanz benötigen, geht es schneller weiter. Zu schnell, wie eine Messung der Wuppertaler Autobahnpolizei feststellt. Dort, wo 100 km/h erlaubt sind, nehmen die Gesetzeshüter 23 km/h zu viel zu Protokoll. Dumm gelaufen, dabei kam die Geschwindigkeit gar nicht so unangepasst vor. Doch was soll's – wird aus der Premiere direkt eine doppelte: mein erster Punkt in der Flensburger Verkehrssünderkartei .
Beim abendlichen Kartenspiel werden Gedanken an den mit zu tiefen Tritt auf das Gaspedal misslungenen Start verdrängt, und am nächsten Morgen geht es disziplinierter weiter, insbesondere was die Beachtung örtlicher Geschwindigkeitsbegrenzungen angeht.
Gegen 10:30 Uhr ist im Ortsteil Davensberg am Emmerbach ein Platz ausfindig gemacht, der nicht nur für Ausflügler wie uns angelegt zu sein scheint, sondern an dessen Geländer einer Brücke über den Wasserlauf zudem das Motto der Tour vorweg genommen ist – 100 Schlösser. Ob es wirklich so viele sind, wir prüfen es nicht, einig sind wir uns auf jeden Fall darin, dass es sich weniger um altertümliche Bauwerke handelt als vielmehr um die metallischen Konstruktionen mit einem Bügel, wie sie üblicherweise zum Schutz von Eigentum vor unbefugtem Abtransport verwendet werden, oder, wie seit einiger Zeit bei Liebespaaren „en vogue“, um seiner Verbundenheit Ausdruck zu verleihen.
Ebenso wenig wie wir die Schlösser nachzählen machen wir uns auf dem geschotterten Boden des Parkplatzes Gedanken, dass unsere motorisierten Gefährte ungewünscht den Besitzer wechseln. Wir überlegen lediglich, wie wir es etwaigen Interessenten schwer machen können, die Autos auf Steine auf zu bocken, um sich der Reifen zu bemächtigen. Priorität genießen aber die Handgriffe, die Velos fahrtüchtig zu bekommen. Vorderräder zurück in die Gabeln, Packtaschen raus aus dem Kofferraum, ran an die Gepäckträger, einen zweirädrigen Anhänger an Rüdigers Rad anbringen, diesen mit Zelt, Campingbedarf und Hundekissen bestücken, und eine halbe Stunde später dokumentieren die Strom betriebenen Wegweiser erste Bewegungen – wir rollen in Richtung der Route, die wir dem Internet entnommenen haben.
Was das Wetter anbelangt, so weckten der milde Winter und warme Tage im März die Hoffnung, dass Ostern frühsommerliche Temperaturen herrschen könnten, doch auch in Anbetracht von Wolken und Jahreszeit typischen Thermometer Ständen brauchen wir uns für Mitte April nicht beschweren.
Auf wenig befahrenen Straßen, Feld- und Wirtschaftswegen geht es für uns im Uhrzeigersinn der Route auf einem Zick-Zack-Kurs vorbei an Drensteinfurt nach Selm. Obwohl statistisch gesehen spätestens alle zehn Kilometer ein Schloss auf uns warten sollte, so bekommen wir an diesem Karfreitag nur zwei der betagteren Bauten zu Gesicht: Schloss Westerwinkel sowie mit Schloss Nordkirchen das westfälische Versailles. Auch wenn im Plagiat das Ausmaß der Gärten des nicht an das heran ragt, was der Sonnenkönig im Nachbarland in seinem Größenwahn hat erschaffen lassen, so sprengt es doch durchaus ortsübliche Dimensionen angelegter Grünflächen und ist schön anzusehen.
Andererseits liegen Orte auf der Route, in denen es nicht den geringsten Hinweis auf das gibt, wofür sie weltweit populär sind. Nordick zum Beispiel. Nicht ein Wort darüber, dass dort die Idee des Spazierengehens mit Stöcken ihren Ursprung haben könnte – die mit dem Ortsnamen vorangestellte Form des Wanderns, beziehungsweise international verständlich ausgedrückt, das entsprechende Walking!
Sarah, unsere vierbeinige Begleiterin, kommt hingegen ohne dergleichen Gehhilfen aus. Wenn sie nicht gerade unter die Räder zu kommen droht und im Anhänger Platz nehmen muss, läuft sie um uns herum, legt dabei wahrscheinlich ein vielfaches der Strecke zurück, die wir radeln, bereitet allerdings zum Ende der ersten Tagesetappe Probleme. Diese sind zwar weder auf ihre Laufleistung noch auf Verhalten zurück zu führen, sondern haben schlicht und ergreifend mit ihrem Dasein an sich zu tun beziehungsweise der Sichtweise darauf.
Wir stehen bereits auf dem Campingplatz am Selmer Baggerloch, der laut Karte Temscher See heißt, haben die Schlüssel für die Duschen nebst zur Nutzung erforderlicher Münzen in Empfang genommen und überlegen, wo wir unsere mobilen Behausungen aufschlagen, da fällt der Blick der Dame, die zuvor unser Geld einkassierte, auf die Hündin und wir werden darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir mit dem Tier nicht bleiben könnten. Da wir nicht gewillt sind, uns von Sarah zu trennen, heißt es, woanders ein Quartier zu finden. Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten halten wir nach einem Flecken Ausschau, auf dem wir „wild“ campen können, werden aber nicht so richtig fündig. Schließlich fragen wir auf einem Bauernhof nach und man gewährt uns Asyl; hinter einer Scheune beziehungsweise neben einem Silo dürfen wir uns niederlassen, und auch die Anwesenheit Sarahs stört hier niemanden. Selbst die beiden Kollegen im Zwinger, die einen respektableren Eindruck hinterlassen und lauthals anschlagen, als wir uns nähern, nehmen von ihrer Artgenossin kaum Notiz.
Da wir uns bereits zuvor in einem Biker Treff vor den Toren Nordkirchens gesättigt hatten, unsere Wahl fiel mit in Gedärm gepresster Fleischmasse an Kartoffelstäbchen garniert mit rot/weißen Saucen/Dipp Arrangement sozusagen auf eine Spezialität des Hauses, im Straßen Jargon auch unter „Manta Schale“ ein, wenn auch etwas abfälligerer Begriff, vermissen wir keine Haute Cuisine und sind letzten Endes gar nicht so unglücklich darüber, nicht auf dem Campingplatz untergekommen zu sein. Auch dort hätten wir keinen Aufenthaltsraum vorgefunden, soviel war bereits klar geworden, in dem wir den Abend auf einer bequemen Sitzgelegenheit mit einem Glas zu trinken zur Hand und im besten Fall einem Tisch zum Karten spielen hätten ausklingen lassen können. So verkriechen wir uns nach dem Schwinden des Tageslichts und Sinken der Temperaturen jeder in seinen Schlafsack und blicken zurück auf die ersten knapp 65 gefahrenen Kilometer, die eigentlich zehn weniger hätten sein sollen, und die uns keine zwanzig Kilometer Luftlinie von unserem Startpunkt trennen.
Der Morgen des Ostersamstag begrüßt uns freundlich. Da wir zeitig den Vortag beendeten, kommen wir früh wieder auf die Beine. Nachdem die Spuren unserer Anwesenheit verwischt sind und eine Visitenkarte mit einem Dankeschön im Briefkasten unserer Gastgeber eingeworfen ist, starten wir bereits um kurz nach 08:30 Uhr. Für Ute und mich ein absolutes Novum, aber es geht, die Räder drehen sich und wir halten uns im Sattel, wenn auch nicht all zu lange. Bereits eine halbe Stunde später der erste Stillstand. An einem Supermarkt in Olfen. Neben anderen Frühaufstehern und Schlafgestörten durchqueren wir die Gänge auf der Suche nach Essbarem. Als wir beim Bäcker anstehen um Brötchen und Kaffee zu ordern verrät uns ein Einheimischer, dass wir besser bei der Filiale im Ortskern halt machen. Dort sei es gemütlicher für eine Pause als in dem Gewusel auf dem Parkplatz, auf dem wir uns breit gemacht haben. Gesagt, getan – was Sinn macht, macht Sinn, und so finden wir uns Minuten später ein paar hundert Meter weiter wieder. In der Olfener Fussgängerzone. Oder ist es der Marktplatz? Schwer zu sagen, Stände sind zumindest keine aufgebaut.
Die Stühle und Tische vor der Bäckerei sind noch zusammen gekettet, doch auch das stört uns nicht. Es sind reichlich leer stehende Bänke vorhanden, von denen wir eine okkupieren. Dank Sarah sind wir nicht lange allein. Eine ältere Dame bleibt vor der Hündin stehen und ist ganz verzückt. Sie lässt uns ungefragt an ihren Gefühlen und Erinnerungen teilhaben und schnell stellt sich heraus, dass wir Bekanntschaft mit einer Meisterin aller Klassen machen. Rad gefahren ist sie auch, früher, und je länger wir zuhören, desto umfangreicher wird die Liste vergangener Glanztaten, von denen sie uns berichtet. Irgendwann ist jedoch das Frühstück verzehrt sowie unser Interesse abgeebbt, und so trennen sich unsere Wege, wie sie uns zusammen führten – ein jeder in seiner Richtung. Für uns bedeutet dies, dass wir über Lüdinghausen, Senden und Nottuln nach Billerbeck gelangen. Während wir uns weiterhin fragen, welcher Routenabschnitt der Tour seinen Namen zu verdanken hat, mache ich eine andere Feststellung: die Strecke zwischen unserer Brotzeit und der Burg Vischering in Lüdinghausen ist mir bekannt. Und Ute ebenso. Es waren die Kilometer auf dem Weg zum Nordkap, auf denen wir unser Bild vom flachen Münsterland revidierten. Und diese Erfahrung machen nun auch unsere Begleiter. Nicht, dass mit einem Male hunderte von Metern zu erklimmen wären, nein, aber wenn da erst mal fünfzig Meter sind, wo man sie gar nicht erwartet, dann legt man auch schon mal die Jacke ab, ohne es zuvor in Erwägung gezogen zu haben. Was sich nicht ändert ist die Beschaffenheit, Nutzung und Verlauf der Wege, über die wir uns bewegen: überwiegend Asphalt, wenig Verkehr, rechts und links Felder, Gehöfte meist in Sichtweite. Vor der Burg Lüdinghausen dann der nächste Stopp. Kurze Pause, Zähneputzen nachholen, kleine Stärkung, und weiter geht's.
Da ausgeschilderte Attraktionen entlang der Strecke weiterhin Mangelware bleiben, halten wir Augen und Ohren offen – und es ist nicht vergebens. Noch in Lüdinghausen entdecken wir ein Ortsschild, das zu makabren Fantasien anregt: ein Achtung Schild, darunter der Hinweis – 23 Kleinkinder auf 250 Metern. Ich bereue, nicht einen dicken Edding Stift im Gepäck zu haben. Welche Schlüsse hätte der aufmerksame Zeitgenosse gezogen, wenn die 3 durchgestrichen wäre und anstatt dessen eine von Hand geschwungene und abermals durchgestrichene 2 gefolgt von einer 1 gestanden hätte?
Wie auch immer, als ich noch einmal für ein Foto umkehre, entdecke ich keinen der gefährdeten Bewohner. Kann natürlich sein, dass sie dem Alter bereits entwachsen sind und mittlerweile im Schutz der Fernseher größer werden, anstatt das Leben auf der Straße weiter aufs Spiel zu setzen.
Entlang des Dortmund-Ems Kanals und der Stever gelangen wir zum nächsten Rastplatz, einer Bank im Grünen am Ufer des Baches (oder ist es schon ein Flüsschen?) zwischen Senden und Appelhülsen (auch 'n komischer Name für 'nen Ort). Die Sonne lacht, die Radler, die auf der Schotterpiste vorbei fahren, ebenso, nur ich nicht mehr, als wir weiter fahren. Nach nur wenigen Metern stelle ich fest, dass meinem Vorderreifen die Luft ausgegangen ist. Also, Packtaschen runter, Rad auf Lenker und Sattel gestellt, Flickzeug ausgepackt, und Reifenpanne beheben.
Der Erfolg ist leider ein kurzer. Es ist gerade mal der Ortsrand von Nottuln erreicht, nur wenige Kilometer auf dem Flicken sind zurück gelegt, da ist das Rad erneut platt. Ich pumpe noch einmal Luft nach, schaffe es auch fast bis in den Ort, dann stehe ich abermals so gut wie auf der Felge. Entnervt greife ich zum Ersatzschlauch. Während Ute, Rüdiger und Birgit ein Eis in einem Café weg löffeln, widme ich mich dem nächsten Reparaturversuch. Reste eines zerstörerischen Übeltäters im Mantel kann ich ebenso wenig entdecken wie es mir gelingt, dem neuen Schlauch Luft einzuhauchen. Ich kann pumpen wie ich will, im Reifen baut sich kein Druck auf. Nun kann es natürlich sein, dass dem Softwerker für derlei Tätigkeiten die rechten Hände fehlen, doch auch Rüdigers Bemühungen führen zu keinem nachhaltigeren Ergebnis. Und der ist immerhin gelernter Schrauber. Ende vom Lied: ein noch neuerer Schlauch muss her, nachdem der eine als quasi fabrikneuer Müll entlarvt ist.
Mit Utes Rad begebe ich mich auf die Suche nach einem Fahrradgeschäft. Einmal nachgefragt, und Minuten später stehe ich davor, doch das Glück bleibt mir treu. Der Laden ist geschlossen. Tröstlich: vor dem Laden hängt ein Automat, aus dem neue Schläuche gezogen werden können, für 7,50 Euro. Weniger hilfreich wiederum: der Automat gibt kein Geld zurück und frisst nur Münzen; ich habe jedoch nur Scheine im Portemonnaie. Da sich keine Wechselstube in der Nähe befindet, bleibt mir nur die Fahrt zurück zur Eisbude, und mit 15 Euro Klimpergeld in der Tasche der erneute Anlauf zum Automaten.
Gefühlte Tage später ist der Vorderreifen wieder prall gefüllt, und Dank der kleinen Doppelhub-Luftpumpe komme ich mir vor, als habe ich Oberarme wie Popeye oder Arnold Schwarzenegger. Trotzdem reichen die motorischen Fähigkeiten, die richtigen Ziffern des Taschentelefons zu treffen und zwei Zimmer in einem Hotel im nächsten Ort, in Billerbeck, zu reservieren, denn was sich außerdem während dem ungeplanten Aufenthalt bestätigte:
einen Campingplatz sucht man in dieser Ecke des Landes vergebens. Und zu noch einer Nacht ohne Dusche kann ich meine Mitstreiter nicht überreden.
Die Schlussetappe lässt dafür eben diese fluchen. Und schieben. Und die Dusche herbei sehnen. Bereits zwischendurch, an einer Wegkreuzung, hatten uns drei Herren vor den Anstiegen in dieser Gegend gewarnt, die uns dieses Mal tatsächlich hundert Meter empor führen. Die bekannte Tatsache, dass es dort, wo es auf der einen Seite hinauf geht, auf der anderen Seite auch wieder hinab führt, wird hier widerlegt. Zumindest einstweilen. Die Strecke mit dem Gefälle sollen wir erst am nächsten Tag erreichen, als Osterpräsent, sozusagen.
Doch wie dem auch sei, gegen 20:00 Uhr stehen wir vor unserer Herberge, und dort warten nicht nur gemachte Betten und Duschen, nein, auch gegen die Löcher in den Mägen hat man etwas anzubieten. Ist natürlich nicht so preiswert wie in der Fritten Schmiede tags zuvor, dafür kommen die Geschmacksnerven aber auch mehr auf ihre Kosten.
Ebenso fällt das Frühstück am nächsten Morgen, Ostersonntag, gediegener aus. Süßes sowie Herzhaftes steht auf dem Tisch, auch an Getränken mangelt es kaum, es fehlt bestenfalls die Unterhaltung durch Lokalmatadore, die in Erinnerungen oder Fantasien schwelgen.
Für Ute und mich zu vertrauteren Zeiten stehen wir um 11:00 Uhr wieder auf der Straße. Da den knapp 70 Kilometern vom Vortag 20 weniger bis an den östlichen Stadtrand von Münster folgen sollten, lassen wir es gemächlich angehen. Ein kleiner Bummel durch den Ort, noch mal ein paar Meter einen Hügel hoch, dann geht es unbeschwerlicher weiter. Als wir unterwegs zwei Damen zu Pferde begegnen ist es ein weiteres Mal Sarah, die für Abwechselung sorgt. Aufgeregt bellend läuft sie zwischen den Beinen der Huftiere umher, was eine der Reiterinnen zu dem Kommentar hinreißt, dass unser italienisches Windspiel wohl nicht wisse, wie groß sie ist. Schmunzeln in den Gesichtern der Zweibeiner. Am Wegesrand? Kaum Neues. Selten führt die Strecke über stärker befahrene Straßen, um uns herum bleibt es grün, über uns blau, und Schlösser bleiben Mangelware. Haus Stapel und Burg Hülshoff nehmen wir quasi im Vorbeifahren mit, irgendwo verweilen wir ein wenig bei Kaffee und Kuchen, und zum Nachmittag stehen wir bereits vor dem fürstbischhöflichen Schloss in Münster. Auch wenn es die Route nicht direkt vorsieht, einen Bogen um den Dom, Lambertikirche, Rathaus und Prinzipalmarkt hatten wir bereits das Jahr zuvor gemacht, so dass wir uns bei dieser Gelegenheit die namhaftesten Sehenswürdigkeiten zumindest von außen nicht entgehen lassen. Ein wenig überrascht sind wir anschließend, dass es doch noch ein Stück zu radeln ist, bis wir den an der Werse gelegenen Campingplatz erreichen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir im Vorjahr einen kürzeren Weg über die Straße wählten, um zu unserer damaligen Verabredung für den Abend nicht noch später zu erscheinen.
Diesmal erwartet uns niemand, dafür ist die Zeltwiese jedoch schon gut belegt, und anstelle eines weiteren opulenten Mahls im nahe gelegenen Restaurant Stapelskotten begnügen wir uns mit selbst gekochten Nudeln und essbaren Resten aus den Packtaschen. So stört es uns auch nicht, dass die Küche in der Klause des Campingplatzes bereits geschlossen hat, als wir dort einkehren, um uns noch ein paar kalte Getränke zu gönnen und die Spielkarten über den zu Tisch schieben.
Weniger gemütlich geht es am Ostermontag zu. Das schöne Wetter weicht dunklen und tief hängenden Wolken. Zwar klappt die Versorgung mit trockenen Brötchen auf dem Campingplatz, doch sowohl der Verzehr als auch der Weg die verbleibenden gut 40 Kilometer zurück zu den Autos geraten zu einer feuchten Angelegenheit. Außer dem Haus Bisping sowie erneut Vorhängeschlössern unterschiedlichster Hersteller entdecken wir am Wegesrand nichts, was den Namen der Tour rechtfertigen sollte. 100 Schlösser? Da muss sich jemand derbe verzählt haben. Oder sie verteilen sich nicht sonderlich gleichmäßig auf die vier Rundkurse. Was bleibt sind einige Kilometer entlang der Werse, vereinzelt qualmen noch ein paar Osterfeuer beziehungsweise vergnügen sich Helfer damit, übrig gebliebene Getränkebestände zu dezimieren, dann stehen wir gegen 15:20 Uhr wieder auf dem Parkplatz, auf dem wir unsere Autos vollständig und unbeschadet vorfinden.
Das Zerlegen der Räder und Verstauen des Gepäcks nimmt noch ein wenig Zeit in Anspruch, wobei sich uns der Vorteil Regen fester Packtaschen erschließt; während Rüdiger und Birgit Teile ihrer Ausrüstung auswringen können, ist der Inhalt unserer Transportbehältnisse trocken geblieben. Wir brauchen uns nur darauf zu beschränken, die Taschen abzuledern, ist uns nicht daran gelegen, Spuren der letzten Etappe in den Wagen zu befördern.
Alles in allem sind wir uns letzten Endes einig, Ostern optimal genutzt zu haben und dass es nicht die letzte gemeinsame Radtour gewesen sein sollte. Bezüglich der Route sei angemerkt, dass aus den 210 Kilometern laut Plan ungefähr 10 mehr wurden – vertraut man zumindest den Aufzeichnungen des Navis. Gemäß denen waren wir, solange sich die Räder drehten, mit knapp 20½ Stunden unterwegs, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 11 km/h entspricht. Wie die 1.919 Höhenmeter zustande gekommen sind? Ich habe keine Ahnung. Hätte ich schätzen sollen, es wäre bestenfalls die Hälfte geworden. Den höchsten Punkt der Reise bezifferte die Elektronik mit 176 Metern, der niedrigste soll gut 130 Meter tiefer gelegen haben. Was die Orientierung unterwegs anbelangt, so hätten wir die GPS Geräte beruhigt Zuhause liegen lassen können, der Kurs war bestens beschildert. Nur der Name der Route ...